Ein Leben ohne Facebook – sub specie aeternitatis

„And here we all were, recording memories we would later forget to share online with people who barely know us.“

Grafton Tanner

Mein im akuten Moment unfreiwilliger Abgang bei Facebook (und damit jeglicher Social Media, denn ich war nur auf dieser Plattform) nach 10 Jahren, der mir in der Prä-Antizipation immer wie eine Zäsur erschien, war es nun im Grunde gar nicht…ein Leben ohne Facebook ist (natürlich) möglich und vor allem macht es sich kaum so bemerkbar wie ich befürchtet habe. Dass man generell weniger fatalistisch an seine eigene Nutzung rangehen sollte, um es sich tatsächlich leichter zu machen: „Are smartphones and social media addictive? Tech critics say yes. But actual addiction researchers say something else — and they point to ways in which our broad use of the word “addiction” can cause real harm. In this episode, we look at the history of supposedly “addictive” technologies, understand the surprisingly odd science behind today’s scariest claims, and discover who really has the power to break these supposed “addictions.” (Hint: It’s you.)“ Podcast: https://www.jasonfeifer.com/episode/you-are-not-addicted-to-technology/

Gleichzeitig habe ich angefangen mir fragen zu stellen: Warum habe ich die Ablösung nicht selbst geschafft? Warum war ich letztlich auf Facebook, was habe ich da gemacht und warum? Wie hat Facebook in mein Leben hineingewirkt, gerade unterbwusst?

Zur letzten Frage gehört die vielleicht bittere Erkenntnis, dass ich realisierte, dass ich manche Dinge immer schon in Hinblick auf Facebook gesehen und gemacht habe. Das soll nicht heißen, dass ich an einen Ort ging um Fotos für Facebook zu machen (so weit war es zum Glück noch nicht, es gibt diese Tendenz bei vielen Menschen aber sicherlich), aber alles was ich sah, alles was ich tat wurde schon davon überschattet, was davon und wie man es bei Facebook darstellen kann – beängstigend. Nathan Jurgenson nennt das „The Facebook-Eye“, dass über das „it did not happen unless it is posted on Facebook.“ noch weit hinausgeht. Es ist die zeitige Variante des Kamera-Blicks.

„Many have rightly criticized Facebook over how the site turns the unquantifiable beauty of human experience into something that fits into a database , or how Facebook misuses that database to earn fantastic profits. These are valid critiques; however, my concern is that the ultimate power of social media is how it burrows into us, our minds, our consciousness, changing how we consciously experience the world even when logged off.

[…]

Invented some 150 years ago, photography caused a global sensation around the new possibility: to document ourselves and our world in new ways, in greater detail and in lasting permanence.

[…]

Today, we are in danger of developing a „Facebook Eye“: our brains always looking for moments where the ephemeral blur of lived experience might best be translated into a Facebook post…“

https://www.theatlantic.com/technology/archive/2012/01/the-facebook-eye/251377/

Genau was Jurgenson hier über die Unterscheidung zweier Ebenen sagt, nämlich: Was will der Nutzer mit Facebook? und Was will der Konzern mit Facebook? muss wie wohl es miteinander natürlich interagiert und sich beeinflusst bei Fragen der Motivation auseinander gehalten werden. Und er Fokus soll auf der Seite des Nutzers liegen.

Deswegen hat er auch das in meinen Augen wichtige Buch „The Social Photo: On photography and social media” geschrieben.

Jurgensons Blog gibt es hier: https://nathanjurgenson.wordpress.com/

Was das speziell in der Corona-Pandemie bedeuten kann, erläutert er hier im Interview: https://news.artnet.com/art-world/nathan-jurgenson-interview-social-photo-1860240

Wider der oft recht oberflächlichen Erklärung der Social Media-Kultur, insbesondere der der Bilder geht Jurgenson eben nicht allein vom Narzissmus und Selbstdarstellungstrieb aus (ich will nicht sagen, dass das gar keine Rolle spielen mag und sicher von Nutzer zu Nutzer unterschiedlich stark ausgeprägt ist, aber die Reduktion allein darauf greift zu kurz), sondern vom Social Media Bild als Kommunikationsmittel sowohl einer Stimmung als auch eines Ereignisses, das aus dem Strom der dahinfließenden Gegenwart herausgehoben werden soll und dies gerade auch über die pathische Ebene tut.

Ausgehend vom Selfie geht Eva Horn in ihrem Essay aus Sinn und Form 6/2000 auch dieser Mentalität nach. Auch bei ihr beginnt sie letztlich mit der Binnenfrage: „Aber was heißt es, wenn eine Medientechnik der Dokumentation und Spurensicherung plötzlich überall und jederzeit zur Verfügung steht? Was tun wir damit?“ Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Ganz offensichtlich geht es weniger um eine lustvolle Selbstinszenierung, eher um ein Festhalten der Gegenwart.“

Horn geht dem Festhalten der Gegenwart auch in der Geschichte nach; das Tagebuch (später auch das Netztagebuch/der Blog) sind Formen der Selbstbeschäftigung und einer Art des Habhaftwerdens der umgebenden Ereignisse in der jeweiligen Gegenwart, die natürlich sehr alt ist. Der offensichtliche Unterschied ist nicht nur das analoge Medium selbst, sondern, dass der Empfänger. De Großteil der Tagebücher, die geschrieben wurden und werden ist privat, für keinen geschrieben als für die Person selbst, Selbstvergewisserung und auch Abbau von Emotion. Dazu zählen auch jene Tagebücher, die später zufällig entdeckt wurden und historisch interessant geworden sind, auch sie waren nicht von Beginn an zu diesem Zweck verfasst. Nun gibt es aber auch öffentliche Tagebücher, die im Grunde bereits immer schon auf diese Art Zweck hin geschrieben wurden – zumindest ist es bei vielen stark anzunehmen -, Horn führt z.B. Ernst Jünger an. Die Frage, ob dies evtl. auch auf digitaler Ebene über Rainald Götz‘ Blog zu sagen ist, der im Text auch vorkommt, da verschimmt vielleicht etwas die Präzision. Horn unterscheidet aber zum Beispiel frühere Tagebücher, selbst die, die dafür geschrieben wurden um absichtsvoll Jahre nach dem Tod des Autors publiziert zu werden wie bei Chateaubriend, den Zugang bei diesem Tun vom Denken des sub specie aeternitatis heraus – untheologisch also im Grunde vom Gesichtspunkt des Todes her. Man kann immer Fragen wieviel Selbstinszenierung selbst in etwas steckt, was erstmal niemand als man selbst zu Gesicht bekommt; der Wunsch nach einer Art Fortbestand über den Tod hinaus durch Überlieferung, Zeugenschaft oder „nur“ Erinnerung in denen, z.b. seinen Kindern, denen man solche Dokumente evtl. übervarantwortet; weil dahinter die große Frage steckt, warum tut man das?

Der Dokumentationszwang wie Eva Horn das nennt, heute im Digitalen lagert sich jedoch anders, auch abseits der handfesten Medialität.

„Welche Lage zeigt sich eigentlich in der permanenten Dokumentation der Gegenwart? Paradoxerweise zeigt sich gerade ein unerfüllter Wunsch nach Gegenwärtigkeit. Nach einem Jetzt, das blitzhaft beglückt oder schreckhaft entsetzt, einem Augenblick, der als herausgehobener, einzigartiger Moment aufscheint, nicht als Abfall, nicht als Alltag, sondern als Ereignis. Es ist die Sehnsucht nach einer Zäsur, die alles ändert, an die man sich erinnern wird.“

Diese Feststellung ist letztlich der große Aufhänger eines weiteren unbedingt lesenswerten Buches zum Thema: Roberto Simanowskis „Facebook-Gesellschaft.

Hier ist ein Gespräch mit Simaowski zum Thema bei Sternstunde Philosophie des srf

Auch Simanowski ist die reine kulturkritische Herangehensweise zu platt, weshalb auch er eine übergeordnete Frage stellt und erst einmal knapp in der Einleitung wie folgend beantwortet:

„Die Frage ist nicht, mit welch unredlichen Mitteln zu welch unlauteren Zwecken Facebook seine Nutzer zum Veröffentlichen ihres Privatlebens bringt. Die Frage ist, worin der Reiz dieser Offenlegung besteht. Was ist die kulturelle Basis des Lock-in? Warum werden noch immer so viele so hoffnungsvoll zu Facebookern? […] Man muss jenseits des Naheliegenden Facebook als Antwort auf ein Problem verstehen, das das (post)moderne Subjekt mehr oder weniger bewusst umtreibt. Man muss Facebook als Symptom einer kulturellen Entwicklung verstehen, die geschichtsphilosophisch zu denken ist und nicht vorschnell auf Szenarien politischer Unterdrückung und ökonomischer Aus-beutung reduziert werden sollte. Die politisch-ökonomischen Konsequenzen des Systems Facebook sind tiefer anzusetzen. [Es] produziert…durch seine Einladung zu reflexionsarmer Selbsterfahrung genau jene Subjekte, die an diesem Prozess keinen Anstoß mehr nehmen. Damit liegt es im Trend des affirmativen Gesellschaftsbezugs und treibt diesen zugleich voran. Facebook ist so beliebt, weil es erlaubt, die Gesellschaft , die die unsrige ist, zu lieben.“

Lieben ist ein großes Wort, vielleicht sogar zu positiv, ertragen wäre zu negativ und am Ende ist es wahrscheinlich genau eine Mischung aus beidem, die wegen dieser Widersprüchlichkeit das Phänomen so schwer greifbar und leicht gruselig macht. Der Netzaktivismus erscheint mir wie die Kulmination dessen: als Einzelner keine Macht über die verkehrte Welt haben, aber über das Netz seine Ohmacht vor sich selbst kompensieren als würde es tatsächlich ermächtigen – der Clou, dass gerade in Gesellschaften, wo handfest im ganz Alltäglichen politische Ohnmacht mit diktatorischem Zwang einher geht die sind in denen Netzaktivismus wenn überhaupt tatsächlich etwas bewirkt jenseits von wieder nur Onlinediskussionen um den Gegenstand und sich selbst, der im Netz verbleibt. Ist es nicht paradox, dass Diktatoren Angst vor Social Media und Bloggern haben, während in der „freien Welt“ die tatsächlichen politischen Vorgänge trotz Social Media eben doch kaum angegriffen oder verändert werden? Und gerade der „Aktivismus“ in diesem Feld am erfolgrichsen war, der genau das Diktatorische eher wieder anschaffen will (siehe die Bewegungen in den USA oder all das, was man in Deutschland unter „Hygiene-Demos“ zusammenfassen kann)? Facebook kann Dinge und Menschen größer und wichtiger erscheinen lassen als sie sind, das gilt ganz offensichtlich für solche Netzbewegungen wie die zu Anti-Corona und anderen abtrusen Thesen. Das gilt aber genauso für Bewegungen zu Netzfeminismus und spezifischen Themen der Identitätspolitik. Eine Absurdität dieses Widerspruchs in die ich selbst auch schon geriet und das dann realisierte ist ja das Teilen von Social Media-Kritik auf Social Media-Plattformen. Die Überhöhung von Bedeutung ist aber sicher auch abseits solcher Formen im ganz persönlichen Gebrauch sicher ein Faktor. das „Ich bin da!“ des Individuum im gleichgültigen Fluss der Zeit.

Nun war Facebook nie ein Tagebuch für mich und auch dieser Blog ist das nicht, privates Vergnügen ist nicht gleichbedeutend mit privatesten Inhalten, sondern referiert lediglich auf mögliche Kommerzialisierungs- und Verwertungsmotive. Ehe ich Facebook benutzte (in den Anfangsjahren tatsächlich weitaus sporadischer, der Ausgangspunkt der Anmedlung damals war eher pragmatischer Natur) schrieb ich sowohl Tagebuch, Notzibücher (was das bei mir genau war, nennt man heute in „cool“: scrapbooking/scrapping“, zu Deutsch wahrscheinlich: “Schnipselbücher” – dazu wohl mal einen gesonderten Beitrag) als auch Briefe (teilweise lange Briefe), in letzter zeit hab ich auch das Fotoalben kleben wieder begonnen, und wiewohl das mit der erhöhten Aktivität auf der Plattform abnahm, hat das nie aufgehört, was heißt eine Tendent zur Selbstbefragung, Mitteilung etc. existierte auch ohne Facebook und wird auch danach existieren. Facebook hat diesen Drang – zumindest bei mir – also nicht erzeugt, bestenfalls erhöht, schlimmstenfalls ausgenutzt bzw. beides.

Was dieser Drang ist und wie Facebook/Social Media ihn verändert und ja, ausbeutet das beschreibt Hans Ulrich Gumbrecht z.b. als Hyperkommunikation, doch seine dahinter liegende Vorstellug einer verbreiterten Gegenwart trifft auf das permanente pathische Rufen gerade nicht zu, weil sie einer Steigerungslogik folgt bei der noch nicht ganz klar ist wie sie sich eigentlich selbst bedingt :

„Gegenwart zu akkumulieren heißt, immer mehr und vor allem immer schneller zu dokumentieren, posten, twittern, also mediale Zeichen unserer Existenz zu geben. Umgekehrt werden die Zeitfenster immer kleiner, um unsererseits geteilt oder geliked zu werden. Der einst so ruhige Fluß des Alltags fließt immer schnel-ler. Unsere Gegenwart, so wie wir sie aufbereiten und medial herrichten, wird damit nicht »breiter«, sondern hastiger, schmaler, kurzatmiger.“

Eva Horn

Ich kenne diese Getriebenheit – und war zumindest immer noch zu so selbstreflexiv, dass ich gemerkt habe wie dumm da ist -, die eigentlich keine wirkliche Quelle hat, sei es nun die Angst etwas zu verpassen, was bei mir eher nebensächlich war, oder die seltsame Vorstellung nicht oft genug gerufen zu haben: Ich bin noch da!, das ehrlicherweise kaum Resonanz findet, wohl auch weil die Motivation dahinter schon eine völlig verquere Denke ist; das „Ich poste also bin ich!“ ist natürlich ein selbstgemachter Käfig. Aber die Augenblicke geschehen und sie sind vergänglich egal, ob man davon ein Foto oder einen Post absetzt. Man kann sie erleben, aber man muss es eben auch, weil es einen Unterschied macht,ob ich nach einiger Zeit Freunden oder wem auch immer davon berichte oder ob ich im Augenblick einen Social Media Beitrag absetze:

„Diese mangelnde Zeitgenossenschaft resultiert aus dem paradoxen Gegenwartsverhältnis der Facebook-Gesellschaft : sie vernichtet die Gegenwart, indem sie diese permanent festhält. Das klingt widersinnig und kontraintuitiv, denn immerhin führt die auf Facebook (und anderen sozialen Netzwerken) praktizierte Kultur des Mitteilens dazu, dass immer mehr Menschen so gut wie alles, was sie erleben, auch dokumentieren und einander präsentieren. Genau dieser Mitteilungsdrang aber verhindert, dass die Gegenwart tatsächlich wahrgenommen wird. Das mehr oder weniger reflexhafte, mehr oder weniger reflexionslose Dokumentieren des erlebten Augenblicks ersetzt dessen wirkliche Erfahrung. Indem Gegenwart archiviert wird, so eine These dieses Essays, wird sie zugleich verneint, ignoriert, außer Kraft gesetzt; man fällt im Grunde aus der Zeit, und zwar nicht obwohl, sondern weil man diese permanent festhält.

[…]

Gegenwart wird nicht erkenntnistheoretisch auf eine höhere Stufe gehoben, sondern auf eine niedrigere abgesenkt. Denn erst die distanzierte Nähe der Reflexion erlaubt, Gegenwart zu verstehen: ihre Komplexität, ihr Potenzial, ihre Schattenseiten und die Alternativen, die sie versperrt.“

Roberto Simanowski

Das schon internalisierte Facebook Eye schaut beim Augenblick bereits mit, schiebt sich schon vor das Erleben wie eine Sonnenbrille. Und fast ist es als müssten die Anderen den Moment und das damit verbundene Erlebnis bezeugen und spiegeln, durch Likes und Shares und Comments – eine Art Second Hand Bestätigung für den Moment, den man verpasst hat, weil man ihn posten wollte, gerade weil man seiner Flüchtigkeit Herr werden wollte.

Einige Soziologen nennen unsere Gesellschaft atomisiert. Die Folge ist, dass wir uns wie isolierte Atome in einem kalten Universum fühlen. Das sei die Grundangst der Moderne. Und nachdem gemeinschaftstiftende Verbände, Rituale immer mehr ins Hintertreffen geraten, sucht man das womöglich in den Sozialen Medien, die ja nicht umsonst so genannt wurden. Doch eins muss man sich bewusst werden (am Ende gilt das für diesen Blog gleichermaßen):

After all, you are still alone in your room even after checking Facebook, downloading a trove of music, and watching pornography. This bitter loneliness, one that gives the illusion of socializing on these social-media platforms, is a facet of this digital melancholia: we surf the web alone and binge on media alone.

Grafton Tanner

Verpassen tut man letztlich nichts. Es tut mir leid um viele Kontakte (sowas kann man aber zum Glück auch anders lösen) und um manchen Text oder einige Fotos, die auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind (auf irgendeinem Facebook-Server mögen sie noch existieren, aber das ist letztlich irrelevant), der Großteil macht keinen Unterschied, er war nicht nur vor der Ewigkeit unwichtig, selbst vor der ganz persönlichen Bilanzierung hat er keinerlei Bewandnis, nicht mal nostalgische Gefühle. Denn er fehlte mir keinen Tag. Das ist die Wahrheit.

Was Facebook und Co. damit bezwecken sollte auch mittlerweile klar geworden sein. Leute zusammenbringen, kreativ werden etc. ist es jedenfalls nicht:

„Das einzige, was zuverlässig von der Masse der Dokumente, die wir herstellen, übrigbleibt, sind Informationen darüber, wie alt wir sind, wohin wir reisen, welche Dinge wir kaufen möchten, was uns im Netz interessiert. Es bleibt nicht das gelebte Leben, sondern wer wir laut Datenauswertung sind — sei es für Sozial Media Marketing, sei es für die NSA. Wir akkumulieren Gegenwart als Metadaten.“

Eva Horn

Und würden die Facebook-Server aus irgendwelchen Gründen crashen oder gar das Stromnetz auf unbestimmte Zeit, nicht einmal diese Daten gäbe es noch. Jeder Facebook-User existiert dann nicht mehr und tut es natürlich doch wie er es vor Facebook getan hat und eben auch danach würde. Nichts ginge verloren außer Bytes und Bits. Und die Erinnerungen an Ereignisse an die wir uns nicht erinnern.

Dieser Blog, für den die letzte Konsequenz so genauso gilt, der meinem Empfinden nach wenigstens aber dem inneren Monolog des Tagebuchs näher steht, weil er die Unmittelbarkeit abkapselt und weniger öffentlich ist (nicht wegen der Möglichkeit, allein wegen der geringen Reichweite eines Facebook gegenüber) führt mich zumindest im ersten Schritt raus aus dieser Spirale. Und jetzt merke ich bereits schon aufgrund dessen, dass so ein Blog-Beitrag ganz händisch weitaus aufwendiger ist als ein Facebook-Post (auch so ein Facebook-Mechanismus der treibt) überlege ich viel eher, ob das, was ich mitteilen will wirklich den Aufwand wert erscheint und wieviel man tatsächlich zu einer Sache zu sagen hat, was über das Posten eines Links oder eines Fotos hinausgeht. Darüber hinaus habe ich wieder analog angefangen das zu tun, was Eva Horn das Aufzeichnen des Geschmacks der Tage nennt und manchmal eben selbst analog nicht aufgezeichnet wird/werden soll:

„Wer heutzutage [Tagebuch schreibt], sollte besser nicht darüber reden. Denn man riskiert, von Leuten, die täglich Dutzende von Whats-App-Nachrichten darüber verschicken, was sie so gegessen haben, gefragt zu werden: »Was an deinem Leben ist denn so bedeutend, daß du es aufzeichnest?«…Der tägliche Stoffwechsel besteht heute aus gestanzten Formaten der Witzigkeit, der Reflektiertheit, des guten Aussehens, der weiten Reisen, wichtigen Begegnungen und pittoresken Szenerien…Aber niemand hindert uns daran, uns von der Welt berühren zu lassen, uns zu begeistern, hingerissen zu sein. intensive Begegnungen zu haben…Die Akkumulation der Gegenwart in Konserven bringt jedoch etwas ganz anderes zuverlässig zum Verschwinden. Sie entzieht uns den privaten, heimlichen, schwer auf den Punkt zu bringenden Geschmack der Tage. Denn die sind manchmal einfach unbedeutend, fad, traurig, gehetzt oder bloß normal. Die stummen, alltäglichen Tage sind nicht mehr abbildbar, sie werden von uns ja kaum mehr ausgehalten. Es sind Tage, an denen wir etwas Wichtiges verpaßt haben. Tage, an denen wir damit zufrieden waren, nicht gesehen und geliked zu werden. Tage, an denen wir unsichtbar waren. Oder auch Tage, an denen wir etwas dachten oder fühlten, was nicht zu konservieren war — außer in unseren Körpern und Köpfen. Den Schmerz über ihre Flüchtigkeit wird uns kein Medium nehmen können.“

Als Appendix sozuagen: Es war im Übrigen dieser Artikel in der NZZ, der mich dazu bewogen hat, hier auf diesem Blog nicht nur den Facbook-Button, sondern den auch mit Facebook verbundenen Like-Button zu deaktivieren. Nicht nur möchte ich Facbook noch mehr Daten in den Rachen werfen, auch nicht die Anderer, sondern es ist auch so wie es dort steht: Entweder ich habe etwas zu sagen oder eben nicht. Das leere mögliche Goutieren des Like-Buttons – ich weiß ja wie ich ihn selbst genutzt habe – hat mit Kommunikation nichts zu tun. Etwas zu mögen ohne darüber viel Worte zu verlieren ist nichts Schlimmes, aber vielfach eben auch nichts, was zwingend einer Mitteilung bedarf – alles andere ist schon kurzgetaktete Verwertungs- und Bedeutungslogik unserer Zeit, der ich mich immer wieder entgegen stellen werde, weil sie am Ende Null echte Resonanz erzeugt.

„Die Diskussionen um den Like-Button können als Schritt hin zur Emergenz von normativen Erwartungen gegenüber den Affordanzen einer neuen Technologie aus der Mitte der Gesellschaft beschrieben werden…. 

Vielmehr entbrannte innerhalb von Facebook eine Diskussion zwischen der Analytics-Abteilung und den Business-Managern über die «gültige» Interpretation des neuen digitalen Artefakts. Maschinen sind bekanntlich nicht fähig, Intentionen zu entwickeln. Aber Menschen und soziale Systeme können Erwartungen an die (Gebrauchs-)Möglichkeiten schaffen, die einer Technologie innewohnen. In der Wissenschaft spricht man in diesem Zusammenhang von «Affordanzen».

Für die Analytics-Abteilung von Facebook stand die Möglichkeit im Vordergrund, über den Like-Button genauere Kenntnisse der Nutzerpräferenzen zu erhalten, um so die zugänglich zu machenden Inhalte noch präziser auf das Persönlichkeitsprofil jeder einzelnen Nutzerin zuzuschneiden.

Die Business-Manager waren von dieser Interpretation ebenfalls angetan, weil die Personalisierung von Inhalten die Möglichkeit versprach, der Werbebranche individualisierte Anzeigen zu verkaufen. Diese geschäftsorientierte Interpretation konnte sich letztlich durchsetzen: Seither erzielt Facebook mit dem Like-Button Milliardeneinnahmen.

Pearlman und Rosenstein konnten sich nicht damit abfinden, dass sich statt ihrer gemeinwohlorientierten jene Interpretation des Like-Buttons in der «design constituency» durchgesetzt hatte, die Facebook die Maximierung von Werbeeinnahmen ermöglicht. Sie verliessen den Konzern und übten nun auf der Seite der «impact constituency» vehemente Kritik an dem, was sie als weiteren Schritt zur Ökonomisierung des Internets brandmarkten.

Dieser Kritik schlossen sich zahlreiche Internetaktivisten und auch Teile der Wissenschaft an. Dies mit dem Ziel, die «Normalisierung» einer bestimmten Interpretation des Like-Buttons zu verhindern und die Möglichkeit gesellschaftspolitischer Korrektur aufrechtzuerhalten.“

https://www.nzz.ch/feuilleton/gedacht-war-er-als-hilfe-fuer-die-menschen-heraus-kam-ein-spion-wie-der-like-button-von-facebook-neues-recht-entstehen-laesst-ld.1625065

8 Kommentare zu „Ein Leben ohne Facebook – sub specie aeternitatis“

  1. Ich kann Deine Entscheidung nachvollziehen, vermissen Dich trotzdem bei FB! Herzliche Grüße, Tommy Tinte

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  2. Sehr guter Artikel. Schön, dass ich Deinen Blog gefunden habe, so kann ich auch ohne FB ab und an etwas Interessantes von Dir lesen lesen. 🙂 BG…

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  3. Glückwunsch. Und schöner Blog. Bei Dir werden gleichsam auch die Brennnesseln schön (sind sie ja auch). Ich versuche gerade, es Dir gleich zu tun. Also mit dem facebook-etc-Ausstieg (das mit der Schönheit wird nix mehr bei mir)

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